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Wollen wirklich 84% von uns verdummen?

Ein Kollege erzählte mir kürzlich, er hätte in einem Bericht gelesen, dass nur 16% aller Deutschen sich weiterbilden wollen. Nur 16%? Was ist mit den anderen 84%? Wollen die etwa verblöden? Schwer vorstellbar.

Und wie muss überhaupt eine Umfrage oder Studie gebaut sein, dass so ein Ergebnis dabei entstehen kann?

Meiner Überzeugung folgend, dass jeder sich täglich entwickelt, Neues dazu lernt und sein Können verbessert, müsste ich mich ja aktiv diesem natürlichen Prozess verwehren, um zu den 84% zu gehören. Unwahrscheinlich, dass Menschen so viel Energie aufbringen, sich bewusst gegen ihre Natur zu stellen — und das jeden Tag auf´s Neue.

Wenn es also nicht trivial ist, mich jeden Tag gegen mich zu stellen, wie schaffe ich es also dann, einer von den 84% zu werden? Lass mal überlegen.

Ich könnte einen Filter über meine Entscheidungen legen. Nämlich den „Ich arbeite für“-Filter. Wenn ich mir einrede, das, was ich tue, nicht für mich, sondern für andere zu tun — das könnte Energie stoppen. Ich muss mir also nur immer wieder sagen, dass ich „das“ gerade nicht für mich tue und schon habe ich kein Interesse mehr daran, mich zu entwickeln.

Reicht das etwa schon? Muss ich denn nicht vielmehr auch die Erwartungen desjenigen erfüllen, für den ich „das“, was auch immer „das“ ist, tue? Hmmm, also sollte ich mich vielleicht doch entwickeln, um dem Anspruch gerecht zu werden?

Andererseits, derjenige hat mich ja beauftragt, gerade WEIL ich es schon kann. Sonst hätte er sinnigerweise jemand anderen genommen. Und außerdem, wenn ich es schon nur für „ihn“ tue, wieso soll ich mich dann noch besonders anstrengen? Davon habe ich ja nichts.

Also, siehst Du, geschafft. Ist doch ganz einfach mit der Selbstlüge. Nur ein paar aus der Luft gegriffene Hypothesen bauen, diese durch eine in sich logische Geschichte zu einer Wahrheit umbauen — und fertig.

So kann´s gehen. Ich könnte einer von 84% werden.

Falls Du noch an einer Analyse zu obiger Selbstlüge und deren Aufbau interessiert bist, kannst Du gern weiterlesen. Die Pointe ist aber schon rum. 😉

Ist es nicht unglaublich, dass wir in der Lage sind, uns so derart von uns selbst zu dissoziieren, dass wir ernsthaft glauben können, wir täten auch nur irgend etwas im Leben ausschließlich für jemand anderen? Uns zu Opfern zu machen, wo wir doch immer auch Täter sind? Das mag etwas polemisch sein, trifft aber den Kern. Denn allein die Entscheidung, irgendetwas zu tun, ganz gleich für wen, liegt allein bei mir.

Natürlich kann ich, „nur für meinen Liebsten“, ein wohlschmeckendes Mahl zubereiten. Parallel habe ich jedoch auch etwas davon, nicht wahr? Seine Freude und Anerkennung durch zufriedenes Mampfen oder Topf-Auskratzen. Für mich spielt es keine Rolle, ob ich es in erster Linie für ihn tue oder nicht. Fakt ist, ich habe auch einen Gewinn dabei. In diesem Beispiel ist das leicht erkennbar, in anderen Situationen kann der Gewinn nicht sofort sichtbar oder strategischer Natur sein. Am Ende springt jedenfalls für mich immer auch etwas dabei raus. Wenn Du jetzt denkst „Das mag ja bei Dir so sein, ist aber bei mir anders.“, dann freue ich mich auf ein Beispiel von Dir.

Nachdem ich mir also die erste Selbstlüge in Form des „ich arbeite für“-Pflänzchens zugelegt habe, gilt es nun, dieses zu gießen, damit der Baum „ich gehöre zu den 84%“ daraus wird. Dafür erzähle ich mir also die Geschichte weiter, indem ich nun aus meiner passiven, ausführenden Rolle weiterdenke. Da erscheinen dann die oben geschilderten Gedanken automatisch folgerichtig und so wächst der Baum behütet heran.

Wöllte ich jedoch zu den 16% gehören, müsste ich mir meine Geschichte anders erzählen:

Das, was ich tue, tue ich letztendlich aus der Überzeugung heraus, dass es irgendwie gut für mich ist. Und wenn vielleicht noch nicht jetzt, in diesem Moment, dann doch irgendwann. Sobald dieses Vertrauen nicht da ist, muss ich mir zumindest mal sicher sein, dass es mir nicht schadet, um es überhaupt zu tun.

Unter dieser Prämisse ist auch die Arbeit für irgendwen gleichzeitig immer auch eine Arbeit für mich. Eine ständige Entwicklung, ein täglicher Fortschritt. Und dann macht es auch sofort Sinn, meinen persönlichen Fortschritt zu fördern und unterstützen, indem ich mich mit äußeren Impulsen anreichere.

Und schwupps, bin ich einer der 16%.

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