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Weniger müssen müssen

Weniger müssen müssen? Was denn bitte? Worum geht´s hier eigentlich? Was will mir diese Headline sagen? Gehört der Artikel etwa zu der Werbung mit dem gleichnamigen Slogan? 

Nein, tut er nicht. Aber ich finde den Slogan überaus passend für mein heutiges Thema. 

Es geht um Kreativität – nein, nicht um Kunst und Basteln, sondern um Kreativität. Um das Kreieren, das Erschaffen von etwas Neuem aus Ideen. Das betrifft jeden von uns. Kunst und Basteln erschaffen natürlich Neues aus Ideen. Darüber hinaus finden wir alle uns ständig in Situationen wieder, die wir das erste Mal erleben – und das erste Mal meistern. Und zwar auf die Weise, die uns in diesem Moment als die Erfolg versprechendste erscheint, kreiert aus einer eigenen Idee, der wir folgen.

All jene, die von sich behaupten: „Ich bin nicht kreativ!“ lade ich herzlich ein zu einer Reise in ihre Kindheit, denn spätestens dort finden sie im Rückblick auch ihre Kreativität. Mag sein, dass sie mittlerweile etwas gehemmt ist durch Ablehnung von Ideen oder jahrezehntelanger gesellschaftlicher Prägung, was „richtig“ und was „falsch“ ist und sich deshalb seltener raus traut. Ich bleibe dabei: Es gibt keine nicht-kreativen Menschen, zumindest nicht in dem Sinne, wie ich Kreativität verstehe. Die Facetten sind vielfältig, von abstrakten Dalí-Gemälden bis hin zur Variation von etwas Bestehendem, wie beispielsweise dem Smoothie „Kale Crush“, den ich gerade trinke (besteht aus Grünkohl, Banane, Apfel und Ananas – wenn das mal nicht kreativ ist!) – am Ende steht doch immer etwas nie da Gewesenes, ein Erstlingswerk. Alles andere ist eine Kopie. Und auch wenn sich die Tragweite und Relevanz der Kreationen durchaus stark unterscheidet, so ist es doch immer Kreativität, die den Entstehungsprozess leitete. 

Kreativität ist personalisiert, eine Gruppe kann keine Idee haben, nur einzelne Personen können das (die kontroverse Frage, ob Rechner das können, klammere ich ganz bewusst aus). Es kann vorkommen, dass mehrere Personen zur gleichen Zeit die gleiche Idee entwickeln – das ist dann trotzdem keine „Idee der Gruppe“, sondern die zufällig gleiche Idee von mehreren Einzelpersonen. Auch die Weiterentwicklung von Ideen basiert auf weiteren Ideen – jede Innovation und jede Optimierung fusst somit auf einer Idee, ist also kreativ, denn am Ende steht immer etwas noch nie da gewesenes.

„Jetzt sei doch mal kreativ!“ Kreativität auf Knopfdruck.

Warum zwingen wir uns eigentlich regelmäßig zu Kreativität? Wir wissen doch, dass das sinnlos ist. Kreativität ist vor allem unvorhersehbar, also wie sollte sie dann planbar sein? Das ist doch wie „Sei spontan!“ 

Wir alle kennen dieses Phänomen: Mit ´nem Brett vor´m Kopf sitzen wir an einer Aufgabe, grübeln und schieben Gedanken von links nach rechts – aber irgendwie kommt nix vernünftiges dabei raus. Vielmehr ist es ein Krampf, genau JETZT etwas produzieren zu müssen – und dann auch noch etwas Sinnvolles, bitteschön. Was richtig Gutes wäre toll, aber mindestens was Gutes. Grübeln tun wir im Übrigen nur, weil die Antwort auf die im Raum stehende Frage ja noch nicht bekannt ist – oder die Lösung für ein Problem. Wäre sie bekannt, würden wir – hoffentlich – nicht grübeln, sondern sie einfach exekutieren. 

Ach, übrigens…dieser Artikel ist in genau solch einer Situation entstanden 😉 Ich saß im Flieger, den Laptop auf meinem Schoß, mit dem klaren Ziel, jetzt was Schönes zu schreiben. Absurd. Ich sollte es doch besser wissen. Zur Auswahl standen einige zu schreibende Blogartikel, mein Buch-to-come und etwas Berufliches. Nach einem kurzen Nickerchen (hilft immer!) kam mir dann die Idee zu diesem Blogthema, das natürlich nicht auf der Agenda stand ^^. Und während ich grad so schön schreibe und die Ideen fließen, kommt die Stewardess…“bitte klappen Sie jetzt Ihren Laptop zu…“ Na super, jetzt muss ich mir alles merken bis nach der Landung…

Oder auch nicht…die gute alte Block-und-Stift Methode ist immer noch eine echte Alternative. Also hab ich einfach weitergeschrieben und das Geschreibsel im Nachgang hier rein getippt. Beweisfoto A:

Die Strecke Berlin-München ist einfach viel zu kurz, um irgendwas Sinnvolles zu produzieren, was über einen vorbereiteten Tweet hinaus geht. Ich fahr ja persönlich lieber Bahn, aber die scheint nicht so viele Kunden haben zu wollen, anders kann ich mir die Preisdifferenz zwischen Flieger und Bahn nicht erklären.

So – und schon bin ich raus aus meinem Tunnel des Worte-runter-tippens und muss mich neu „tunnelieren“. Wir können also schon mal festhalten, dass, wenn eine Idee oder ein Ansatz da ist, es durchaus Sinn ergibt, diesem auch genau dann zu folgen – nicht verfolgen, das ist ja keine Jagd, sondern eher eine Reise. Auch wenn mich immer wieder das Gefühl beschleicht, dass Zeit ein derart kritischer Faktor ist – mittlerweile in allen Bereichen irgendwie – dass die schnelle Jagd mit dem „Erlegen“ einer entspannten Reise häufig vorgezogen wird. Und schon entsteht Druck. Druck, schnell zu einem Ergebnis kommen zu müssen, weil doch „die Zeit davon läuft“.

Ist dem so?

Kann Zeit wirklich davon laufen? Wohin läuft sie denn? Ist es nicht vielmehr so, dass wir uns mittlerweile für quasi alles Deadlines setzen? Eigenen Zeitdruck kreieren? Und dennoch nicht nur hoffen, sondern wirklich erwarten, dass innerhalb der gesetzten Frist eine neue Idee entsteht – eine richtig gute natürlich, nix Durchschnittliches. Also so wie ich im Flieger. Zu keinem meiner Themen kam mir eine Idee – dafür die für diesen Artikel hier. Und ob diese Idee eine richtig gute war, mag jeder selbst für sich bewerten.

Ich habe in den letzten Monaten immer wieder die Erfahrung gemacht, dass „müssen“ und Kreativität schwer zusammen gehen. Kann klappen, muss aber nicht. Deshalb kombiniere ich das nicht mehr. Denn schlußendlich kommt es immer auf das Ergebnis an – also stelle ich auch genau das in den Fokus. Fertig bin ich dann, wenn ich das Gefühl habe, fertig zu sein. Wenn mir nichts Besseres mehr einfällt.

Diese selbst auferlegte Entschleunigung ist ein derartiger Gewinn für mich, dass ich es mir nicht mehr anders vorstellen kann. Meine Effektivität dankt es mir, meine Effizienz oft nicht. Ist aber nicht so wild, denn darauf kommt’s bei dem Erschaffen von etwas Neuem ja nicht an, sondern auf das Erschaffen von etwas Neuem. Etwas richtig gutem Neuen.

2 Kommentare

  1. Danke, das bestärkt, jeder kennt das Gefühl vor einem weißen Blatt zu sitzen und nicht einmal den ersten Satz zusammen zu bekommen. Gerade in ‚kreativen Berufen‘ muss man sich das Tag für Tag vergegenwärtigen.

    1. Hallo lieber Schwan im Schlafrock, danke für Deinen Kommentar. Ich finde allein schon die Wahl Deines Nutzernamens sehr kreativ 🙂 „Kreative Berufe“ – ein spannendes Thema – Berufe, die von Kreativität leben und per Amt kontinuierlich unter Ideen-Erfolgsdruck stehen, weil sie für Kreativität bezahlt werden…

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